UNTER:MENSCHEN
Letzte öffentlich-rechtliche Realität
Eine Theater-Serie
Vorbehalt
Für die Produktion ist es wesentlich, dass keine relevanten Informationen und Interna von UNTER:MENSCHEN an die Öffentlichkeit gelangen. Das heißt, dass keine Informationen und Interna an Dritte, die nicht für UNTER:MENSCHEN arbeiten, an Presse oder an Medien weitergegeben werden dürfen. Darüber hinaus ist es untersagt, Informationen, Fotos und Videos in Social Media oder auf andere Weise zu verbreiten. Bei Zuwiderhandlung werden Schadensersatzforderungen geltend gemacht.
Entwurf
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freundinnen und Freunde,
dies ist ein bitterer Moment. Ich gebe bekannt,
UNTER:MENSCHEN wird nicht realisiert. Unser Vorhaben ist gescheitert. So sehr wir daran einmal geglaubt hatten, dieser Abbruch war doch abzusehen. Umso tiefer ist mein Dank, dass ihr mich bis hierhin begleitet habt. Versteht meine Worte deshalb als eine Botschaft an gute Freunde.
Erinnert ihr euch an den ersten Ideenblitz? Ich mich nur zu gut. Wir sind nicht mehr auf der Suche nach dem einen neuen Format gewesen. Wir wussten bereits, dass das Neue als Altbekanntes auftritt. Wir vertrauten wieder auf das künstlerische Verfahren, mit dem schon immer gearbeitet wurde: zuspitzen und überzeichnen. Wir glaubten auch, dass der Lauf der Dinge, diese ständige Wiederholung der sozialen Verhältnisse, mit einer Radikalisierung dessen, was die Reality vorgibt, aufzubrechen sei. Die alltägliche bürgerliche Reality wollten wir ans Licht zerren, indem wir ihren Schmerz, ihre Krankheit und Armut zeigten. Niemand sollte die Augen verschließen können vor der Hoffnungslosigkeit, die die Konjunktur des Wohlstandes, Wohlanständigen und Gesunden erst kreiert. Kurz gesagt, worüber wir unentwegt diskutierten und woran wir letztlich festhielten: Fortschritt durch Überschreitung. Und dann: UNTER:MENSCHEN – das klang wie eine Symphonie aus Sirenen in unseren Ohren.
Ihr Lieben, das Theater war mir einmal das Haus, das jeder und jede besetzen kann. Für das es keine Erlaubnis von Autoritäten braucht. Das zu bauen ohne viel Mittel auskommt. Allerorts und jederzeit stattfindet. Letztlich schon immer existiert hat und auch in ferner Zukunft bestehen wird. Theater war mir ein Ort offen für das Andere, statt einer von Kontinuitäten. Ich dachte auch, hier wird endlich die ganze Welt sichtbar, in einem lebendigen Archiv sozusagen.
Wohin ich in der Welt schaue, blicken Kreiertes, Künstliches und Erdachtes zurück. Diese Reality, unsere heutige Lebenswirklichkeit, wollte ich ins Theater holen. Deshalb sollten seine Bretter auf das Niveau des phantastischen Asphalts angehoben werden. Das gelang nicht. Dafür mache ich weder unsere zu bunte Wirklichkeit noch die begrenzte Möglichkeit des Theaters verantwortlich. Mir gelang es nicht. Ohne Frage war ich dem Wahn verfallen, alles beherrschen zu müssen. Bis in den letzten Buchstaben sollte es vorformuliert sein. Ich wollte noch ein Vorwort beifügen, das imaginierte, ein solches Vorhaben sei bierernst zu nehmen. Ich wollte noch darüber schreiben, vor welcher gigantischen Herausforderung die Umsetzung des Projekts gestanden hätte und auch eine Portion Pathos beimischen. Am Ende hätten wir gar in der Lage sein sollen, die eigene Arbeit zu reflektieren und sie mit jeder Zeile neu zu justieren. Es musste vollkommen werden.
Wer ein Projekt wie das unsre verfolgt, kennt den furchtbaren Moment, an dem die Schwelle zu einem Tunnel überschritten wird. In diesem Tunnel verengt sich der Blick. Dort übersiehst Du deine Fehltritte. Doch unser Misslingen ist am Ende des Tunnels mehr als die Summe von Fehltritten. Es ist eine Sonne. In ihrem Licht sehen wir, dass es heute nur noch einen letzten Grund gibt, an dem man überhaupt scheitern kann. Weil das Geld nicht vorhanden war. Eben das fehlende Geld erleuchtet dann die Fragen nach einem Warum. Hätte, wenn und aber… Zu gerne hätte ich das gesamte Format ausformuliert. Doch warum? Und wozu!?
Zurückbleiben die ersten zwei Episoden (mehr oder weniger abgeschlossen), ein paar unbrauchbare Skizzen und das Phantasma einer sechsten und letzten Episode. Diese letzte Episode hätte eine verwirklichte Utopie vorgestellt, wie sie für uns noch unvorstellbar ist. Davon nun nichts, nicht einmal ein Titel. Die übrigen Episoden hätten geheißen, hätte es sie gegeben:
ASPHALT oder Horrorhaus Rixdorf (AT),
Alle wollen Asül,
Hamlet sein Vater – Goethe sein Geist.
Wo kein Erfolg beschieden ist, weht die Trauer durch das Fragment. Zurück bleibt ein Schmunzeln. Die letzte Hoffnung ist, dass unser Vorhaben ein andermal auf Interesse stößt. Aber es gehört auch zum Leben, dass manches ohne Resonanz verschwindet. Es gibt kein Versprechen auf unser Dasein.
Ich möchte jetzt jenen danken, die mich mit ihrer Zuversicht bei dem Versuch unterstützt haben, UNTER:MENSCHEN zu realisieren. Ich weiß genau darum, wie viel Kraft und Leidenschaft ihr aufgebracht habt. Eure Zuversicht starb zuletzt. Dafür mein Dankeschön aus tiefstem Herzen! Wer weiß schon, was jetzt noch kommen mag.
Euer
Patrick
(…)
© Patrick Schneider, 2019