Das Gesundenhaus
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Theaterstück
Der Dialog – etwas Geschriebenes und Gesprochenes –
gehört nicht eigentlich zur Bühne, er gehört ins Buch.
Antonin Artaud
Das Glück ist eine neue Idee in Europa.
Saint-Just
NOCH KEIN GLÜCK :
PROLOG
Wir befinden uns auf dem Flug von Frankfurt-Main (FRA) nach Antananarivo (TNR), Hauptstadt von Madagaskar, mit zwei Zwischenstopps in Dubai und Mauritius. Gegenwärtig liegt unter uns die EU-Außengrenze Türkei. Sogleich lassen wir den Irak zu unserer Rechten liegen und begeben uns in den Landeanflug, bei dem Sie zu ihrer Linken „The World“ sehen könnten, hätte das Kapital nicht eine andere Richtung eingeschlagen. An Bord seines Airbus A340 begrüßt Sie der Interimspräsident von Madagaskar Andry N. Rajoelina. Ganz besonders freuen wir uns über die Anwesenheit der deutschen Entwicklungshilfe, vertreten durch den Präservativhersteller „Billy Boy“ und dessen Team. Seit der Demokratisierung des afrikanischen Inselstaates planen die Partner ein Gesundheitsprogramm für die madagassische Bevölkerung, das nun feierlich eröffnet wird. Aus diesem Anlass haben die Protagonisten – der Präsident ausgenommen – im Guest Room Platz genommen.
BETTINA
Zwei Kabinen vor uns schlummert der Prinz.
CHRIS
Er ist Präsident.
BETTINA
Bitte. Wenn du etwas zu sagen hast, dann dass es nicht peinlich wird. Am besten wird es sein, wenn du später deine Anwesenheit in Anwesenheit des Prinzen vermeidest.
CHRIS
Des Präsidenten, immer noch!
BETTINA
Hier beginnt wieder meine berufliche Laufbahn nach dem erschütternden Eingriff, den du als Mann zu verantworten hattest. Wenn ich daran denke, dass du dich zu alldem Übel auch noch aus der Affäre ziehen wolltest, Christian, dann steigt in mir etwas auf, worüber ich noch nicht das letzte Wort verloren habe.
CHRIS
Darüber hast du schon so viele Worte verloren, so viele kann man gar nicht wieder auflesen.
BETTINA
An meiner Seite begleitet mich der Arzt, der mit seinem Eingriff alles ins Reine gebracht hat. Nun schweig und schau dir die Wüste unter dir an, die bereit ist, dich aufzunehmen.
CHRIS
Ich sitze in diesem Flugzeug, weil es mein Wille war, der uns weiterhin vertraglich bindet. Ich kann nämlich in Madagaskar etwas Sinnvolles helfen, das dem Namen meines Büros gerecht wird: „designforlife“! Liebe Bettina, wenn es dich nicht angeht, so geht es mich umso mehr etwas an, dass eine gute Gestaltung die schlechten Umstände verändern kann. Erstens.
BETTINA
Was redest du daher? Du bist in diesem Flugzeug, weil ich uns während eines Wimpernschlags an Blindheit vertraglich gebunden habe. Für dieses eine letzte Projekt. Da sei dir sicher.
CHRIS
Zweitens. Es ist deine Hinwendung zu ihm und deine Abwendung von mir, die ich nicht bereit bin zu begreifen. Ich habe dir bei der Abtreibung beigestanden, während du dalagst vor ihm. Daran wirst du dich wohl noch erinnern. Jedem Beobachter fällt ein Licht darauf, wie sehr meine Toleranz mich als einen besseren Menschen zeichnet als dich. Ich gestehe dir sogar zu, nachdem du unsere Verlobung aufgekündigt hast, eine Auszeit einzulegen bei dem Typen, der als deine Begleitung neben mir sitzt. Das sucht seinesgleichen!
BETTINA
Mir wäre es recht, wenn du den Prinzen nicht mit deinem Geschrei aufweckst.
CHRIS
Drittens. Ich sage es dir in aller Deutlichkeit. Einmal wird diesen Zuständen Grenzen gesetzt. Sei es in Madagaskar, wo die Frauen noch ein ungestilltes Bedürfnis haben nach einem Mann von meinem Format.
BETTINA
Tu, was du willst. Wir werden nie wieder ein Paar.
CHRIS
Da sei dir gewiss. Wir werden nie wieder ein Paar!
DIETRICH
Eine hoch problematische Situation, in der ich mich befinde. Aber mit einem Ausweg. Ich habe das Glück, dass mir die bezaubernde Einladung von diesen zarten Lippen just ausgesprochen wurde, als mir meine frauenärztlichen Eingriffe zu Unrecht ausgelegt wurden, weil sie aktuell dem öffentlichen Willen widersprechen. Dabei habe ich als Arzt mit außerordentlichem Gewissen stets nur dem Willen der Privatpatientinnen assistiert. Überhaupt ist dieser komplizierte Sachverhalt meiner ärztlichen Liebe zum Lebenden geschuldet, mit der ich mich allzeit in die Patientinnen versteife. Egal. Ich bin ein gebildeter Mann, der sich zu entziehen weiß, wenn es sich kompliziert anbahnt. Außerdem habe ich ein Konzept mit im Gepäck, mit dem der Welt geholfen sein wird. So schaue ich in Seelenruhe der Wüste unter uns zu und vergesse dabei die Turbulenzen, denen jedes einzelne Menschenleben hier oben ausgesetzt ist. Ich mache mich gefasst auf Tage der Sonne und der Liebe und des Strands und auf weitere nette Bekanntschaften. Alles wird gut.
RAJOELINA
Ich musse ihr eine Visitenkarte geben. Nein! Ich sprechen direkt mit ihr, weil ich sprechen als König meiner Clubs und als Mogul meiner Medien und wie ein Präsident, wie ein Zug von großer Geschwindigkeit sein Ziel erreicht. Ich, Andry Nirina Rajoelina, hast Frau und Kinder von anderen Frauen, hast einen Staat, hast eine neue Anlage als Ferienclubhotel, hast ein Entwicklungshelfsprojekt. Ich hast gleich zwei Eröffnungen: zuerst für Messe, dann für Ferienclubhotel. Das hast ich alles mit deutschen Freunden realisiert und hast eine wunderschöne deutsche Frau in deinem Flugzeug. Ich, Andry Nirina Rajoelina, hast Zeit der Welt, wenn Flugzeug erst mal gelandet ist in deinem Land. Denn von dort kommt keiner raus, wenn du es nicht erlauben. Auch nicht schöne Frau, die in deiner Ferienclubhotelanlage schlafen seelenruhig in ihrem Bett und dann schlafen werden später seelenwach in deinem Bett. Vielleicht machen du in Zukunft deutschen Sender, nennst du Leben? oder so und machst du deine deutsche Frau zu Star der Moderation, damit sie macht Karrieresprung von Kulturfrau zu Moderationsfrau, von Angestellte zu Prinzessin. Schau nach unten, Andry, siehst du Wüste. Schau nach oben, siehst du Himmel. Das musst du dir Gleichnis sein – machen du ihr Wüste zu Himmel.
Es spielen mit…
alphabetisch
ANDRY N. RAJOELINA
Autokrat. Er tritt als Interimspräsident von Madagaskar auf.
BETTINA
Kulturmanagerin. Sie vertritt den Hersteller von Präservativen „Billy Boy“ und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
BILL
Deutscher Popstar.
CHRIS
Kommunikationsdesigner und Gründer von „designforlife“ in Berlin-Mitte.
DIETRICH
Frauenarzt und nichtehelicher Vater des deutschen Popstars Bill.
EVA-MARIA
Animateurin, die von der staatlichen Job-Agentur an das madagassische Clubhotel vermittelt wurde und volljährig ist.
INGA
Yogalehrerin, die für zwei Szenen von den Toten aufersteht.
KOMMENDER DIKTATOR
Der auf den gegenwärtigen Diktator nachfolgende.
chronologisch
PRIVATJET
bietet einen herrschaftlichen Ausblick auf eine neue Welt.
MESSE
lädt zu einem caritativen Event nach Madagaskar.
CLUBHOTEL
ist in Madagaskar das einzige Hotel der Fünf-Sterne-Kategorie.
GESUNDENHAUS
befindet sich im Robau.
(…)
© Patrick Schneider, 2014