AGITPROP #1-4

Texte für Die Happy Few

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AGITPROP #1-4
Texte für Die Happy Few

URAUFFÜHRUNGEN

AGITPROP #1
Auf einer Wahlkampfveranstaltung (Bundestagswahl)
In: Agitprop für alle! – 21 Theater-Interventionen zur BTW2017
1. September – 24. September 2017
Links: Agitprop für alle! und Die Happy Few

Dokumentations-Ausschnitt des Projekts

AGITPROP #2
Eine Straßenszene (Ottakring, Wien)
In: Agitprop in Ottakring! – Intervention im öffentlichen Raum
Urban Bloom Festival Wien, 4. Mai 2018
Links: Agitprop in Ottakring! und Die Happy Few

Aufführungsplakat

AGITPROP #3
Eine Parkszene
In: Scheinarbeit – Intervention im öffentlichen Raum
works & circles – 50 Jahre Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, Dortmund, 11. Juli 2020
Links: Scheinarbeit und Die Happy Few

Scheinarbeit – Ein TheaterDokFilm

AGITPROP #4
Schaltet die Uhren ab!
Als „Stimmen der Freiheit“ in 30 Jahre Mauerfall – Feier am Brandenburger Tor
ZDF, 9. November 2019
Link: Programm der Bühnenshow

AGITPROP #4

Schaltet die Uhren ab!

Passanten überqueren eine abgesperrte Allee. Aus der Ferne schallen Sirenen, Sprechchöre und eine Melodie herüber und durch die Luft taumeln Flyer. Wer an der Allee innehält, kann einem Selbstgespräch dabei zuhören, wie es sich zu einer offenen Diskussion erweitert (in Englisch, Französisch Deutsch, Türkisch, Arabisch und Hebräisch). Zuversicht keimt auf und die friedliche Revolution entpuppt sich als ein Körper mit tausend Köpfen. Zum Ende gibt es beides gleichzeitig: Debatte und Tanz.

Nach dem November kommt der Dezember / 
Man muss das Mögliche daraus machen / 
Liebe kann ich durch Profit und Erfolge erheischen /
Ich bin ein Siegertyp /
der kämpfen muss und selten verliert /
Was geht es mich an, wenn sich andere die Köpfe einschlagen /
Alles wird nur schlimmer /
Ich kann auch nichts ausrichten / 
Ich bin allein / 
Wenn der Winter da ist /
heize ich mein Haus ein /
dann schließe ich alle Fenster /
alle Türen / 
Wie alle anderen auch / 
Wer kein Haus hat /
der kaufe sich jetzt einen Pelz / 
Nach uns die Sintflut. 

Wo geht es lang? / 
Dem Profit nach /
dem Eigennutz nach /
immer geradeaus! / 
Danke / 
Nein /
Wir nehmen die nächste Abfahrt / 
Die nächste hast du bei der letzten verpasst / 
Bitte wenden /
Niemals / 
Wir bauen uns eine Ausfahrt selbst /
Nur eine Bitte /
Nur nicht über den gemähten Rasen. 

Schon wieder einen Anfang machen? / 
Wozu hat man sich dreißig Jahre eingerichtet? / 
Einen Aufbruch für jetzt /
und für die Zukunft / 
Für die Ungeborenen / 
Die ihr noch nicht bei uns seid / 
Für euch /
die ihr auch einmal jung sein werdet / 
Damit ihr von uns Gutes denkt, wenn ihr euch erinnert / 
Aber wer kennt heute noch einen der verschollenen Namen? / 
Die so vieles für uns riskierten / 
Wir erkennen sie nur noch an ihren Taten / 
An ihrem Mut und ihren Taten /
Also eine kleine Korrektur? / 
Einen echten Aufbruch /
Wie viele zuvor. 

Fragen wir wieder / 
Sind wir immerzu eine Laune des Schicksals? / 
Oder schon eine Republik? /
Eine der Hoffnung? / 
Wir sind eine Gesellschaft / 
Eine Gemeinschaft /
vielleicht /
Auf keinen Fall eine Gelddruckmaschine /
Kontrollmaschine /
Kriegstreibermaschine / 
Lasst uns nicht die letzten Konsumenten sein / 
Schalten wir die Uhren ab / 
Für uns /
Für euch, Ungeborene / 
Hier sind uns das Leben /
Freiheit /
diese Kraft zur Solidarität gegeben / 
Sogar wir können zu einem Körper werden / 
Ein Körper auf tausend Beinen / 
Die nächste friedliche Revolution wird dieser Körper / 
mit tausend Köpfen. 
Was jetzt? / 
Kollektive bilden /
Mit Kritik, Wagnis und Zuversicht / 
tanzen, diskutieren /
und alles ausprobieren!

AGITPROP #3

Eine Parkszene
(Scheinarbeit)

JOGGERIN
…die erfolgreiche Neoliberale.

ZEITARBEITER
…an seinem freien Tag.

ARBEITSSUCHENDER
…bis oben hin mit Vorstellungen.

ZEITARBEITER
Lass locker. Sport ist Mord…

JOGGERIN
Geh‘ was arbeiten! 

ZEITARBEITER
…Massensport ist Massenmord.

JOGGERIN
Massenmord ist anderen auf der Tasche Liegen. Mord an Gemeingut, Geld, an Zusammenhalt mit denen, die für deinesgleichen bezahlen. 

ZEITARBEITER
Ich habe alles probiert, um an Arbeit zu kommen. Ich war ganz unten, ganz oben nie. 

JOGGERIN 
Ausreden. Wenn ein gesunder Mann vor mir steht, das behauptet, denke ich mir was…? Blockade. Selbstmitleid. Ausflucht. Abhängigkeiten. Erstrecht in einer stabilen wirtschaftlichen Situation – stabil noch. Es gibt sicher Orte auf der Welt… ok. Geschenkt. Aber im Urwald sind wir hier nicht. Ein Recht auf Faulheit gibt es in unserer Gesellschaft nicht. 

ZEITARBEITER 
Nur, für mich war die Situation von Harz-IV so belastend. Wenn andere damit zufrieden sind, finde ich es in Ordnung. Ist gut, mit wenig auszukommen. 

ARBEITSSUCHENDER 
Genau! Man sollte das Schlimmste unterlassen! Bei dem Spiel nicht mitmachen.

ZEITARBEITER 
Ganz ehrlich. Ich arbeite aktuell. Zeitarbeiter. 6 Tage die Woche. Am 7. Tag, da breche ich ein, kann nichts als Durchschlafen, damit ich die nächste Woche durchstehe. Da drüben arbeite ich. Beim Schalker Schlachter. Beim Tö… Tö… Tö… Töten. Wir töten Tiere. Aber jetzt ist Corona. Gäb’s keinen Staat, der meinen Lohn auszahlt, der Tö… hätte mich längst rausgeworfen. 

JOGGERIN   
Was für ein Zufall!

ZEITARBEITER
Die Fließbänder stehen still. Einmal will ich jetzt mein Bier trinken ohne schlechtes Gewissen. An meinem freien Tag soll ein andrer schlechtes Gewissen bekommen!

JOGGERIN 
Wer sich engagiert, ehrgeizig ist, dem ergeben sich Perspektiven. Ich weiß, dass ich keine Lust habe, in zwei Jahren noch in meiner jetzigen Position zu arbeiten. Zielstrebig, Karriere, was gut können, dafür angemessen entlohnt werden. 10.000 in der Woche… äh, im Monat. 

ARBEITSSUCHENDER 
Einem Vampir ausgeliefert sein, der meine Lebenszeit aussaugt – das ist Arbeit für mich. Niemals! Ich muss an einem sozial behaglichen, Geschlechter gerechten und hierarchisch flachen Arbeitsort unterkommen. Wo ich nicht Willkür, Ungeduld der Altvorderen und Leitungsdominos ertragen muss. Wo ich nie zu spät kommen kann. Sonst ist Arbeit eine Polizei. Morgen arbeite ich an meinem Schreibtisch… Das Fließband kehrt an der Kasse wieder. Darauf das blutige Stück Fleisch. Das Blut der Böden, unseres Grundwassers, der Natur. Tiere haben dafür gelitten, sind krepiert. Menschen werden ausgebeutet.  

JOGGERIN 
Alles Gute dir. 

(Schlimmste Arbeit)

ZEITARBEITER 
Die schlimmste Arbeit war klassische Werksarbeit. Für mich. Bei Simens, Sims, Sm, Ss, SS. Auch am Fließband. Servomotoren, Motoren für Fensterheber und Sitzverteilungen. Für Autos natürlich. Aber wer weiß das schon.

JOGGERIN
Die schlimmste Arbeit ist Nicht-Arbeit! Tschüss jetzt!

ZEITARBEITER 
8 Stunden am Stück Teile aus der einen Maschine zählen (mit 15 Minuten Pause), in Kisten packen, in andre Maschinen packen. Laut, stinkt, aber Zeit vergeht nicht. Dein Vorarbeiter ist nicht gelaunt, sondern: cholerisch. Er wird nicht bezahlt, wenn die Maschine nicht ne Stunde am Stück läuft. Also ist die Stimmung total angespannt, stressig, konkurrenzgeladen. Was du da tust, ist sinnentleert. Ehrlich: niemand weiß da, was es wird, was man produziert. Vielleicht n Panzer, es heißt n Mini. Der Werkstudent in der Nachtschicht verdient mehr als der cholerische Vorarbeiter. Ich habe nach wenigen Wochen wieder gekündigt. Als die Firma bald rationalisiert wurde und alle anderen Angst hatten um ihre Arbeit, habe ich mir gedacht: Seid froh, dass ihr die verliert. Aber da verging mir schon das Lachen. Dann war ich auf Hartz-IV. 

JOGGERIN 
Wenn ich an meine Belastungsgrenze komme, fühle ich mich definitiv besser. Jedes Mal, wenn ich mich herausfordere, übersteige ich auch die nächste Hürde. 

ARBEITSSUCHENDER
Ich kenne Entspannungsübungen. Hast du nötig.

ZEITARBEITER 
Die schlimmste Arbeit ist zu betteln. Bittstellen. Bitten, Betteln, Arschkriecher-Sein…

ARBEITSSUCHENDER
…Für nichts und wieder nichts. Es ist vergeblich. Unter den aktuellen Verhältnissen trägt alles, was ich arbeiten soll, dazu bei, dass anderswo die Welt zerstört wird. Das Beste ist, ich halte die Füße still, schaffe nicht. Bloß nicht buckeln! Wenn überhaupt will ich im Kollektiv arbeiten, in der sozialen Gemeinschaft. Die Arbeit soll Kit sein, nicht Zerstörung unserer Welt. Arbeit ist eine Vampirin, sie saugt uns die Welt leer. Sie saugt auch dir die Lebenszeit aus. An ihrem Strick hängen wir ein Leben lang und zappeln. Aber wir werden uns losschneiden. Versprochen. 

JOGGERIN
Nur noch eins: So kann man nicht denken. Nimm dir ein Beispiel an mir. Ich. Ich habe früher als Projektmanagerin am Institute of Technology, ehemals Universität, gearbeitet, mit netten Kollegen. Einfache Leute. Da wusste ich auch schnell, hier verschwendest du deine Lebenszeit. Kenne ich also – geschenkt. Aber es war nicht die Arbeit selbst, die so schlimm war. Das Schlimmste ist der Eindruck, dass du das Leben wegwirfst, weil sie dich nicht voranbringt. Arbeit, die du nur des Geldes wegen machst, 10, 11, sogar 12 Stunden am Tag, aber: die dich nicht nach oben bringt, die dich in deiner Karriere aufhält. Horror!

ARBEITSSUCHENDER
Wir müssen diese Zerstörung zerstören! 

(Nullpunkt oder Normalität)

JOGGERIN
Wir wollen festhalten, dass man dem Kapitalismus viel verdankt. 

ARBEITSSUCHENDER
Ein nicht enden wollender Lockdown, das wäre am besten. Keine Kondensstreifen am Himmel…

JOGGERIN
Auf der Hut, Aluhut.

ARBEITSSUCHENDER
…keine Abgase in den Straßen, keine Verkehrstote, überhaupt weniger Konsum, weniger Produktion, weniger Zerstörung. Menschen, die ihr Verhalten ändern. Nichtstun und alles ist getan. 

JOGGERIN
Es würde reichen, eine Maske beim Shoppen aufzusetzen. Um ungestört, sicher einzukaufen. Unverantwortlich, wenn in Supermärkten, Kaufhäusern, Malls keine Lautsprecheransagen zu Hygiene-Vorschriften durchgesagt werden. Es kann offensichtlich nicht jeder Erwachsene für sich und andere sorgen. Aber ich will in meiner Freizeit ohne Gefährdung konsumieren. Das einzige, was ich fordere, ist: Rückkehr zur Normalität! Aber ruckzuck. Einen zweiten Lockdown wird es nicht geben. Das wird die Wirtschaft niemals dulden.

ARBEITSSUCHENDER 
Der Konsum stellt uns ruhig, macht abhängig. 

JOGGERIN 
Du siehst nicht aus, als würdest du konsumieren.

ZEITARBEITER 
Wo sind wir jetzt gelandet? Warum habe ich meinen Mund aufgemacht?! Ich wollte nur dieses Bier trinken. Mehr nicht. Jeder soll sich entspannen, wie er will. 

ARBEITSSUCHENDER 
Sie entspannt nicht. Sie trainiert. 

JOGGERIN 
Ich trainiere und beim Trainieren arbeite ich. Ich arbeite an einer Weihnachtseinladung. 

ZEITARBEITER
Im Sommer?

JOGGERIN
Ich habe noch was vor! „Liebe Werkvertragspartner! 2020 – dieses Schwein von einem Jahr! – hat sich viel in unserem Schlachtbetrieb verändert! Das war wie immer gut so! Denn nichts ist verlockender, lähmender, selbstgerechter, frustrierender als der süß duftende Moder des Bestandes…“. 

(Sabotage)

ZEITARBEITER 
Ich bin am 7. Tag zu müde, um die Welt, ihre Menschen zu ändern. Wenn nur die Konkurrenz unter den Arbeitenden nicht da wäre, das wäre schon was. 

ARBEITSSUCHENDER
Sieh es anders: 6 Tage am Stück kannst du Maschinen sabotieren, Ablaufprozesse stören, Anweisungen unterlassen, Vorschriften unterlaufen, unproduktiv sein, dir längere Pause verschaffen, länger auf dem Klo sitzen bleiben, wieder mit Rauchen anfangen, deinem Unmut Ausdruck gegeben, das eigene Schicksal mit der Maschine aufkündigen, dich abfucken!

JOGGERIN
Asozial! 

ZEITARBEITER
Bringt das etwas? Schießt du da nicht übers Ziel hinaus? Schade ich mir so nicht selbst?

JOGGERIN
Richtig so. Damit schadest du nur dir. 

ARBEITSSUCHENDER
Mutig sein! Zu den Unterdrückten aufschauen! Nimm dir ein Beispiel an den Näherinnen in Bangladesch. Nimm dir ein Beispiel an den Menschen, die aus chinesischen Gefängnissen Hilferufe in die Kleidung von Primark und H&M einnähen. Hilferufe, die unsere shoppenden Kinder hier in der Stadtmitte aus ihren Jacken, Pullis, T-Shirts ziehen. Das ist Sabotage zeitgemäß: das Lügengebäude der schönen, sauberen, sittlichen Welt ins Wanken bringen. 

JOGGERIN
Süß. Sabotage läuft doch ganz anders ab, ihr zwei Ahnungslosen. Rating-Agenturen und Prüfungsfirmen werten von heute auf morgen die finanzielle Kraft eines Landes entweder auf – oder ab und können, nur weil irgendwelche Algorithmen es vorausgesehen haben, nur indem sie ihm die Kreditwürdigkeit nehmen, ein Land niederreißen. Schöpferische Sabotage nenne ich das. 

ARBEITSSUCHENDER
Wir müssen diese Zerstörung zerstören! 

JOGGERIN
Schön, dass wir miteinander geredet haben. Nur, meine Zeit ist begrenzt. Tschüss! Mein Tipp: Morgen brav an die Arbeit!

ZEITARBEITER
Nach der Arbeit fällt mir gar das Reden schwer.

ARBEITSSUCHENDER
So weit ist es gekommen: Es soll ein Erfolg gewesen sein, wenn man mit dem anderen geredet hat. Aneinander vorbeigeredet hat. Alle reden immerzu auf Twitter, aber die Welt muss man ändern! Kreislaufökonomie! Gemeinwohl! Neues Zusammenleben! Wie das Pflänzchen im Kühlhaus sein, das sich gegen alle Widrigkeiten erhebt und wächst. Kritik an den Verhältnissen! An dieser Realität der Arbeit, die die Welt zerstört. An der Gesellschaft, die sich über ihre Wirtschaft definiert. Kritik der Arbeit, die deine Identität, deinen Status ausmacht. Schluss mit der falschen Normalität, mit der traurigen Normalität! Kampf gegen die Zerstörung! Kritik der Arbeit, die anderen die Hölle auf Erden bereitet. Kritik daran. Nein! Nein! Nein! Immer wieder: NEIN! 

AGITPROP #2

Eine Straßenszene
(Ottakring, Wien)

MANN
Was machen wir hier? 

FRAU
Gute Frage.

FREUNDIN
Das frage ich mich auch. 

FREUND
Wer sieht uns? Wer hört uns? Hat nicht jeder seine eigenen Probleme? Private, Berufliche, Schulden, mit den Kindern oder mit sich. Jeder ist individuell. Alle sind verschieden. Da kann man sich mal fragen, was wir hier machen. 

MANN
Ich kann meine Bedürfnisse mit Geld befriedigen. Ich kann mir meine Interessen verwirklichen. Aber willst du dich ganz aufs Geld verlassen? Reicht es für mehr als nur für mich? Spürst du, die Hoffnung sinkt? WIe alles schal, kraftlos, nichtig wird. Hörst du auch die Fragen: Ist überhaupt etwas möglich? Ist diese Welt nicht trostlos? Ist nicht alles umsonst? 

FREUND
Ich will nicht warten, bis man mich fragt. Ich klatsche nicht an der richtigen Stelle. Ich kenne nicht die Antwort, die man zu geben hat. Ich bin kein Trichter. Ich will keine Partei repräsentieren. 

FRAU
Stell dir vor, du gehst zu einer Wahl. Die Bürger haben das Mikrophon in der Hand und die Politiker hören zu. Stell dir vor, es ist Staat und keiner geht hin, weil alle damit beschäftigt sind, die beste aller Welten zu bauen. 

MANN
Ich stelle mir gar nichts vor. Ich frag mich, warum ich etwas ändern soll. Ich bin allein. Ich allein kann nichts tun. 

FREUNDIN
Du bist nicht allein. Heute sind wir zu viert. Morgen sind wir Millionen.

MANN
Konkret und nicht verkopft. Erstens. Wir werden niemals im Schlaraffenland leben. Es werden nie Fische gebraten in der Luft fliegen. Die Faulen werden nichts erreichen. Es wird immer Unfreiheit geben. Die Welt ist zu komplex. Zweitens. Ich werde immer jemanden wählen, der mich enttäuscht. Politiker haben ihre eigenen Interessen. Wie ich und du. Warum sollte er mich noch vertreten, wenn er erreicht hat, was er wollte? Das Vertrauen ist zwischen uns gerissen. Drittens. Ich teile schon genug. Jeden Monat zahle ich meine Steuern. Die Steuern ermöglichen diesen Staat. Es funktioniert. Wir haben eine starke Wirtschaft. Wir gehen alle hart arbeiten – fast alle. Noch mal: Man kann sich seine Bedürfnisse mit Geld befriedigen. Wo liegt das Problem? 

FRAU
Für die vielen Probleme haben wir hier keine Zeit.

FREUNDIN
Aber für eine Lösung! Ich habe eine Idee. Wir brauchen keine Bad Banks. Wir brauchen die eine Black Bank. Wir brauchen ein Schwarzes Loch, in das die Spitze des Eisbergs, all diese überflüssige Anhäufung von Geld hineingezogen wird. 

FRAU
Stell dir einen überdimensionalen, digitalen Schredder vor. Oben tropft die Spitze des Eisbergs rein und unten werden die unbezahlbaren Schulden, die riskanten Kredite, diese Zeitbomben beglichen. 

FREUNDIN
Bis es keine Schulden mehr gibt. Danach stellen wir den Schredder ins Museum. Stell dir vor, kein Mensch dieser Welt wäre dem anderen etwas schuldig. 

MANN
Erstens gehe ich nicht ins Museum. Weil das versteht keiner, diese ganze Kunst. Zweitens muss jeder die Verantwortung tragen, die er sich hat zu Schulden kommen lassen. Zum Beispiel der Grieche. Kriegt die ganze Zeit Geld. Das muss er selbstverständlich zurückzahlen. Was kann ich dafür?

FREUND
Stell dir vor, Griechenland hätte eine zweite, parallele Währung. Wie in der Schweiz. Der WIR. Richtig gehört, der WIR. Aus der parallelen Währung können die Kreditgeber von außen nichts abschöpfen. Auch darf keiner mit ihr spekulieren. Der Gewinn bleibt im Land. Denn sonst sammelt sich das Kapital dort, wo das meiste ist. Und die Schulden dort, wo mehr als genügend sind. 

FREUNDIN
Warren Buffet sagt… Kennst du Warren Buffet? Warren Buffet sagt: Wir, die Reichen, führen einen Krieg gegen den Rest der Welt und wir werden ihn gewinnen. Der deutsche Staat hat mit den Krediten für Griechenland einen Milliardengewinn gemacht. Auch Österreich: hundert Millionen. 

FREUND
Stell dir eine komplementäre Währung vor, die das verhindert. Und stell dir diese Black Bank vor. 

MANN
Ich stell mir gar nichts vor. Ich bestelle mir ein Taxi.

FRAU
Beim Lieben und beim Streiten vergiss es nicht. Es gibt nicht nur dich und mich. Hier gibt es uns. Hier beginnt das Unmögliche. Keiner hat das recht zu gehorchen.

FREUND
Wir holen das Unmögliche vom Himmel. Die kleinliche Politik jagen wir stattdessen in die Luft. Wir sollten es tun. Superman kommt nicht. Kommt Supermann, kannst du dir sicher sein, es ist ein weiterer Wolf im Schafspelz. 

MANN
Ich stell mir gar nichts mehr vor. 

FREUNDIN
Wie legst du los? Du beginnst direkt vor Ort. Du bittest keine Institution um einen Auftrag oder um Erlaubnis, dich zu organisieren. Du bist auch nicht abhängig von den Kompetenzen von Unternehmen. Räume und Fähigkeiten findest du vor Ort bei dir. Vor Ort findest du die Kontinuität. Die Bindung zwischen Freunden, Bekannten, Nachbarn sind weder erzwungen noch käuflich. Sie bestehen auch ohne Spektakel und ohne Konsum. Es gibt Vertrauen, das selbstverständlich ist. Auf dieses Vertrauen können wir bauen. Du redest mit Freunden über alles. Ihr kennt eure Bedürfnisse. Das Engagement beginnt mit jenen, die sich jeden Tag wiedersehen. Es beginnt in unserem gemeinsamen, persönlichen Alltag. Es beginnt im Gespräch, das wir sowieso führen. Das erweitern wir um die Lust und Notwendigkeit des Engagements. Auch die Probleme, die zuerst zu lösen sind, finden wir bei uns. In unserer Straße, unserem Kiez, unserem Bezirk, unserer Stadt. Der Alltag ermöglicht den Aufstand. 

FRAU
Überlassen wir das Träumen nicht der Werbung. Überlassen wir den Unternehmen nicht die Visionen. Überlassen wir das Unmögliche nicht den Parteien. Sie machen unsere Träume kostspielig. Sie machen die Visionen zu ihrem Gewinn. Sie reden das Unmögliche klein. Wir entreißen gemeinsam mit unseren Freunden, Bekannten und Nachbarn ihnen wieder den Traum, die Vision, das Unmögliche. Wir werden zu Dieben. Wir nehmen uns, was einmal nur uns gehört hat. 

AGITPROP #1

Auf einer Wahlkampfveranstaltung (Bundestagswahl)

  Personen:
ein Paar (Frau/Mann),
deren Freund,
Praktikant einer Politikerin,
Kommentatorin.

MANN
Was machen wir hier?

FRAU
Gute Frage.

FREUND
Das frage ich mich auch. 

PRAKTIKANT
Ich bin es! Danke! Ich bin der Assistent von Frau Merkel. 

KOMMENTATORIN
Ich spreche kein Deutsch.

PRAKTIKANT
Ok. Ich habe mit Frau Merkel telefoniert. Frau Merkel wird gleich hier sein. Es dauert noch einen kurzen Moment. Sie/Er steckt auf der Autobahn im Stau. Sie war heute schon auf einer anderen Wahlkampfveranstaltung. In zehn Minuten ist Frau Merkel bei uns. Frau Merkel freut sich jetzt schon, zu ihnen zu sprechen. 

FREUND
Wer sieht uns? Wer hört uns? Hat nicht jeder seine eigenen Probleme. Private, Berufliche, Schulden, mit den Kindern oder mit sich. Jeder ist individuell. Alle sind verschieden. Jeder hat auch seine persönlichen Bedürfnisse. Da kann man sich schon mal fragen, was wir hier machen. Wir werden niemals miteinander übereinstimmen.

MANN
Ich kann meine Bedürfnisse mit Geld befriedigen und mir meine Interessen ermöglichen. Aber reicht es für mehr als nur für mich? Willst du dich ganz aufs Geld verlassen? Spürst du die Hoffnung sinken? Spürst du, wie alles schal, kraftlos, nichtig wird. Hörst du die Fragen: Ist überhaupt irgendetwas möglich? Ist diese Welt nicht trostlos? Ist nicht alles umsonst? 

KOMMENTATORIN
Es ist alles sehr kompliziert. 

FRAU
Erst einmal hören wir uns an, was Frau Merkel zu sagen hat. Deswegen sind wir alle hier. Sie macht Politik. Das heißt nicht, dass sie für alles verantwortlich ist. Aber das, was alle betrifft, muss sie umsetzen.

PRAKTIKANT
Entschuldigen Sie. Ich bin es. Ich bin der Assistent von Frau Merkel. Ich habe noch mal mit Frau Merkel telefoniert. Im Moment fährt sie von der Autobahn ab. Der Stau hat sich in Luft aufgelöst. In fünf Minuten ist Frau Merkel hier bei uns. Frau Merkel freut sich sehr, dass Sie so geduldig sind.

FREUND
Generell finde ich die Wahlen absolut bescheuert. Ich will nicht warten, bis man mich fragt. Ich klatsche nicht an der richtigen Stelle. Ich kennen nicht die Antwort, die man zu geben hat. Ich bin keine Trichter. Ich will keine Partei repräsentieren. Stell dir vor, du gehst zur Wahlkundgebung, die Bürger haben das Mikrophon in der Hand und die Politiker hören zu. Stell dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin, weil alle damit beschäftigt sind, die beste aller Welten zu bauen. 

MANN
Ich stelle mir gar nichts vor. Ich frag mich, warum ich etwas ändern soll. Ich bin allein und ich allein kann nichts tun. 

FRAU
Mein Liebster. Du bist nicht allein. Heute sind wir zu zweit, morgen sind wir drei.

MANN
Jetzt konkret und nicht verkopft. Erstens. Wir werden niemals im Schlaraffenland leben. Es werden nie Fische gebraten in der Luft fliegen. Die Faulen werden nichts erreichen. Es wird immer Unfreiheit geben. Politik ist zu komplex. Zweitens. Ich werde immer jemanden wählen, der mich enttäuscht. Die Politiker haben auch ihre eigenen Interessen. Wie ich und du. Warum sollte sie/er mich noch vertreten, wenn sie/er erreicht hat, was sie/er wollte? Daran glaubt keiner mehr. Das Vertrauen ist zwischen uns gerissen. Drittens. Ich teile schon genug. Jeden Monat zahle ich meine Steuern. Die Steuern ermöglichen diesen Staat. Es funktioniert. Wir haben eine starke Wirtschaft. Wir gehen alle – fast alle – hart arbeiten. Jeder kann sich seine Bedürfnisse mit Geld befriedigen. Wo liegt das Problem?

FREUND
Für all die vielen Probleme haben wir hier keine Zeit. Aber für eine Lösung! Ich habe eine Idee. Wir brauchen keine Bad Banks. Wir brauchen die eine Black Bank. Wir brauchen ein Schwarzes Loch, in das die Spitze des Eisbergs, all diese überflüssige Anhäufung von Geld hineingezogen wird. Stell dir einen überdimensionalen, digitalen Schredder vor. Oben tropft die Spitze des Eisbergs rein und unten werden die unbezahlbaren Schulden, die riskanten Kredite, diese Zeitbomben beglichen. Solange, bis es keine Schulden mehr gibt. Danach stellen wir den Schredder ins Museum. Stell dir vor, kein Mensch dieser Welt wäre dem anderen etwas schuldig. 

MANN
Erstens gehe ich nicht ins Museum. Weil versteht keiner, diese ganze Kunst. Zweitens muss jeder die Verantwortung tragen, die er sich hat zu Schulden kommen lassen. Zum Beispiel der Grieche. Kriegt die ganze Zeit Geld. Das muss er selbstverständlich zurückzahlen. Außerdem was kann ich dafür?

FREUND
Stell dir vor, Griechenland hätte eine zweite, parallele Währung. Wie in der Schweiz. Aus der können die Kreditgeber von außen nichts abschöpfen. Auch kann keiner mit ihr spekulieren. Der Gewinn bleibt im Land. Denn sonst sammelt sich das Kapital dort, wo das meiste ist. Und die Schulden dort, wo mehr als genügend sind. Warren Buffet sagt… Kennst du Warren Buffet? Warren Buffet sagt: Wir, die Reichen, führen einen Krieg gegen den Rest der Welt und wir werden ihn gewinnen. Auch der deutsche Staat hat letztes Jahr Milliardengewinne mit den Krediten für Griechenland gemacht. Stell dir eine komplementäre Währung vor, die das verhindert. Und stell dir diese Black Bank vor. 

MANN
Ich stell mir gar nichts vor. 

FRAU
Vergiss es nicht beim Lieben und beim Streiten. Es gibt nicht nur dich und mich, es gibt uns. Hier beginnt das Unmögliche. Keiner hat das recht zu gehorchen.

MANN
Die Alternative, die uns von der Politik angeboten wird, ist keine. Ich sehe keine Alternative. In meiner Situation gibt es nur Entscheidungen aus Zwang, Zusammenhänge durch Schulden, Verbindlichkeiten und überall Verpflichtungen. Was da zählt, ist die Welt der Möglichkeiten. In der solltest du dich verwirklichen. Du sollst deine Chancen nutzen. Sei kein Idiot. Hänge dich nicht am Unmöglichen auf. Das Unmögliche ist ein Hirngespinst. 

FREUND
Wir sollten das Unmögliche vom Himmel holen. Die kleinliche Politik stattdessen in die Luft jagen. Wir sollten es tun. Superman wird nicht kommen. Kommt Superman, kannst du dir gewiss sein, es ist ein weiterer Wolf im Schafspelz.

MANN
Bleibt mir nichts anderes übrig, als auf mich selbst zu vertrauen? Außer uns haben wir niemanden. Unter Freunden: Ich würde die Menschen gern umarmen. Nicht mit ihnen kämpfen. 

FREUND
Wie legst du los? Du beginnst direkt vor Ort. Du bittest keine Institution um einen Auftrag oder um Erlaubnis, dich zu organisieren. Du bist auch nicht abhängig von den Kompetenzen von Unternehmen. Räume und Fähigkeiten findest du vor Ort bei dir. Vor Ort findest du auch die Kontinuitäten. Die Bindung zwischen Freunden, Bekannten und Nachbarn sind weder erzwungen noch käuflich. Sie bestehen auch ohne Spektakel und ohne Konsum. Es gibt Vertrauen zwischen Freunden, Bekannten und Nachbarn, das selbstverständlich ist. Auf dieses Vertrauen können wir bauen. Du redest nur mit Freunden über alles. Ihr kennt eure Bedürfnisse. Das Engagement beginnt mit jenen, die sich jeden Tag wiedersehen. Es beginnt in unserem gemeinsamen, persönlichen Alltag. Es beginnt im Gespräch, das wir sowieso führen und das wir um die Lust und Notwendigkeit des Engagements erweitern. Die Probleme, die zuerst zu lösen sind, finden wir auch bei uns. In unserer Straße, unserem Kiez, unserem Viertel, unserer Stadt. Der Alltag ermöglicht den Aufstand. 

FRAU
Er hat Recht. Überlassen wir das Träumen nicht der Werbung. Überlassen wir den Unternehmen nicht die Visionen. Überlassen wir das Unmögliche nicht den Parteien. Sie machen unsere Träume kostspielig. Sie machen die Visionen zu ihrem Gewinn. Sie reden das Unmögliche klein. Entreißen wir gemeinsam mit unseren Freunden, Bekannten und Nachbarn ihnen wieder den Traum, die Vision und das Unmögliche. Werden wir zu Dieben. Nehmen wir uns, was einmal nur uns gehört hat.

PRAKTIKANT
Entschuldigen Sie. Ich wieder. Ich bin der Assistent von Frau Merkel. Frau Merkel steht drei Straßen weiter an der roten Ampel. Die Ampel ist kaputt und sie möchte nicht über Rot fahren. Sie ist in 30 Sekunden bei uns. Für alle Fälle bin ich gut vorbereitet. In meinem Privatleben bin ich dichter als jetzt. Ein Gedicht! Kunst! Ich kann Ihnen jetzt mein Gedicht vorlesen. Oder wir spielen ein Spiel. Gedicht? Spiel? Spiel? Gedicht? Gedicht und Spiel! Ich erkläre Ihnen rasch das Spiel. Das erkläre ich immer mit meinem Gedicht.

PRAKTIKANT
Zu sechst aus euch herausgenommen,
Spielen wir frei und unbeklommen
Eine Szene aus eurem mit unsrem Leben.
Ihr müsst uns nur die Worte geben.
Schaut uns zu, wie es um euch steht.
Sagt uns, welche Wünsche, Träume, Hoffnungen ihr hegt! 

PUBLIKUM
gibt Begriffe vor.

PRAKTIKANT
Meine Damen und Herren, Frau Merkel! Frau Merkel, das hier wollen die Menschen hören! Bitte!

POLITIKERIN
hält eine Stegreifrede, bei der die vom Publikum genannten Begriffe aufgegriffen werden sollen.

© Patrick Schneider, 2021